Bewegung ist Entwicklung
Die menschliche Entwicklung begann damit, dass sich unsere Vorfahren eines Tages auf die Hinterbeine gestellt haben, um es mal mit einer anderen Fortbewegungsart auszuprobieren: dem aufrechten Gang. Der aufrechte Gang gehört zu den markantesten Eigenschaften, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Er hat der menschlichen Spezies buchstäblich neue „Handlungsspielräume“ eröffnet, indem er die Hände von der Beteiligung an der Fortbewegung befreit hat. Sie konnten von nun an für neuartige Handlungen eingesetzt werden: auf Dinge zeigen, die angezeigten Dinge mit Sprachlauten bezeichnen, sie in Gebrauch nehmen und als Werkzeuge verwenden, um die Umwelt den eigenen Bedürfnissen gemäß zu gestalten.
Die Erweiterung der koordinativen Fähigkeiten unserer Vorfahren ging so mit der Erweiterung ihrer kognitiven Fähigkeiten einher. Diese evolutionäre Interaktion von Bewegung und Denken lässt sich an jedem Menschlein beobachten, das sich in dieser Welt neu zurechtzufinden beginnt: Kleine Kinder erkunden durch die Bewegung Schritt für Schritt die Welt, die sie sich dann Wort für Wort sprachlich aneignen. Je mehr koordinierte Bewegungen ein Kind entfaltet, umso mehr besichtigt, betastet, bezeichnet und begreift es seine Umwelt. Nicht ohne Grund ist der Ausdruck „etwas begreifen“ metaphorisch von „greifen nach etwas“ abgeleitet.
Der aufrechte Gang hat uns Menschen zu echten Allroundern gemacht. Wir können zwar nicht so schnell laufen wie eine Antilope, nicht so geschickt auf Bäume klettern wie ein Affe, nicht so weit springen wie ein Tiger und nicht so elegant durchs Wasser gleiten wie ein Delfin, aber wir können von allem etwas: laufen, klettern, springen und schwimmen. Das heißt: Wir können unsere Bewegung flexibel an verschiedenste Situationen anpassen und sind daher sehr überlebensfähig.
Heute suchen, jagen und erlegen wir unser Essen nicht mehr selbst, so wie es unsere Vorfahren gemacht haben. Wir kaufen es im Supermarkt oder lassen es uns per App direkt nach Hause liefern. Wir sind heute zum Glück vieler körperlicher Arbeiten enthoben. Aber gerade deshalb müssen wir uns fragen, wie wir die Bewegung, die wir nicht mehr nötig haben, spielerisch in unser Leben einbauen können. Denn letztlich haben wir sie doch nötig: Unser Organismus ist auf ein Leben im Sitzen, am Computer und vor dem Fernseher nicht eingestellt! Achten Sie darauf, ob sie ausreichend in Bewegung sind. Sind Sie schon beim Treppensteigen aus der Puste? Schnellt Ihr Puls schon bei geringfügigen Belastungen in die Höhe? Dann sollten Sie sich definitiv mehr bewegen. Wie steht es um Ihre koordinativen Fähigkeiten? Können Sie auf einem Bein stehen? Wie lange? Und mit geschlossenen Augen? Wie elastisch ist Ihr Körper? Welchen Spielraum gewähren Ihnen Glieder, Gelenke und Muskeln? Können Sie auf einem Stuhl sitzend das Bein nach oben durchstrecken, um mit den Händen den Fuß zu umfassen? Wie viel Kraft haben Sie? Genug, um zehn Liegestütze zu machen? Um mit einem Bein vom Stuhl aufzustehen? Um sich aus dem Liegen in die Sitzstellung aufzurichten? Lernen Sie die Stärken und Schwächen Ihres Körpers kennen. Jede Veränderung zum Besseren beginnt damit, dass wir erst einmal den Status quo erkennen. Nur wer seine körperliche Allgemeinverfassung realistisch einschätzt, kann sie effektiv optimieren.
Auszug aus dem Buch ANSTIFTUNGEN ZUM GUTEN LEBEN von Abdullah Sinirlioglu und Karen Plättner: Zum Shop
Stichwörter: Bewegung und Kognition, Entwicklung